Ein digitaler Briefwechsel
Was auf dem Papier bleibt: Ein Briefwechsel über die politische Kunst der Protestschilder
Ihre Geschichte beginnt vor ungefähr 50 Jahren in dem kleinen Ort Wyhl am Kaiserstuhl, den viele heute mit dem Beginn der Umweltbewegung in Deutschland verbinden. Dort sollte am 18. Februar 1975 mit dem Bau eines Atomkraftwerkes der Badenwerk-AG begonnen werden.
Die lokale Bevölkerung blockierte die Baumaschinen und besetzte den Platz, wurde von der Polizei geräumt und unternahm fünf Tage später den nächsten Versuch, diesmal mit Erfolg: Neun Monate hielten Kaiserstühler Landwirt*innen und Winzer*innen sowie Städter*innen und Studierende aus dem 30 Kilometer entfernten Freiburg den Bauplatz besetzt. Doch nicht nur Wyhl ist Mitte der 1970er Jahre Schauplatz von Protesten, die ganze Region ist in Aufruhr.
Auf der anderen Seite des Rheins im französischen Marckolsheim hatten wenige Monate vorher Elsässer*innen und Badener*innen gemeinsam den Bau einer Blei-Chemiefabrik verhindert. Ob Blei oder Atom – was die Menschen antrieb, war die Sorge um ihre Gesundheit, die ihrer Kinder, der Tiere, der Böden, des Wassers und der Luft. Ihre Existenz stand auf dem Spiel. Und alle wussten, dass Umweltverschmutzung- und -zerstörung keine Grenzen kennt.
Alles in Bewegung
Nachricht von Stephanie
Es ist gar nicht so leicht auf einer Demonstration gute Bilder zu machen, wie ich feststellen muss. Besonders dann nicht, wenn man mittendrin ist. Nicht nur die Menschen sind in Bewegung, auch die Schilder und Banner, die sie hochhalten, drehen und schwingen. Eigentlich bin ich heute gekommen, um ein bisschen Feldforschung zu betreiben: Mir anzuschauen, welche Plakate die Aktivist*innen dabei haben und ob es etwas gibt, was sie mit denen verbindet, die wir im Archiv aufbewahren. Kurz (und zu spät) kommt mir der Gedanke, ich hätte ja auch eines der alten Plakate kopieren, auf eine Pappe kleben und mitbringen können. Oder mich von ihnen zu etwas Neuem inspirieren lassen können. Ich denke da an die Schablone, die wie ein Stoppschild aussieht und mit der die Botschaft gegen den Bau des Atomkraftwerks in Wyhl für alle verständlich kommuniziert wurde. Damals hat man die Schablone benutzt, um das gleiche Motiv immer wieder zu übertragen und so eigenhändig und schnell viele Plakate herzustellen. Heute schriebe man einfach "Gas" statt "KKW" (was für Kernkraftwerk steht), oder "Bohrtürme" statt "Kühlturm" und "Kuppel". Im Grunde gäbe es einiges, was sich übertragen ließe, in vielerlei Hinsicht.
Interessant finde ich, dass nicht nur Protestplakate der Zeit von dieser dystopischen (d. h. düsteren, bedrohlichen) Ästhetik geprägt waren. Schaut man sich ein Wahlplakat der Grünen aus den frühen 1980er Jahren an, sieht man, dass die Partei sich hier bildlich (und wohl auch praktisch) mit der Protestbewegung solidarisiert.
Auch der Slogan ist wortgetreu übernommen. Das ist interessant, weil die Grünen kurz vorher mit ihrem bunten Kinderstil und dem Sonnenblumenplakat bekannt wurden. Der Zusatz "Wir haben genug Energie" kann einerseits als Anspielung auf erneuerbare Energien wie Wasser und Wind verstanden werden, für deren Nutzung die Grünen eintraten. Andererseits aber auch auf den langen Atem, der Atomlobby Paroli zu bieten, damit diese dann tatsächlich nichts mehr zu lachen hat.