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© Lukas Stratmann, CC BY-NC-SA
von Paula KanzleiterStephanie Stroh
14
min Lesezeit

Ein digitaler Briefwechsel

Was auf dem Papier bleibt: Ein Briefwechsel über die politische Kunst der Protestschilder

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Anfänge
Nachricht von Stephanie

Es scheint fast ein wenig widersprüchlich, so etwas wie ein Protestplakat in einem Archiv zu verwahren, schreit es doch nach Aufmerksamkeit, will hängen, informieren, provozieren – mindestens aber: gesehen werden. Die Plakate, die ich nun zwischen Schichten aus Seidenpapier in Mappen lege, haben auf ihrem Weg hierher viel erlebt. Manchen sieht man ihre bewegte Geschichte auch an: Reste von Tesafilm in den Ecken, kleine Tacker-Löcher, ein Knick und ein Riss hier und da, verblasste Schrift. Das Papier, auf dem sie gedruckt wurden, ist dünn und zerbrechlich. Doch darin liegt für mich ihr Reiz, weil diese Spuren die Zeit sichtbar machen. Und weil sie dokumentieren, was für die Menschen, die sie entwarfen und plakatierten, wichtig war, was sie bewegte.

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Plakat zum 6. Jahrestag der Platzbesetzung: Eine Menschenmenge mit einer engagierten Frau und einer Fahne.
Wyhl 81 / Der Widerstand lebt, Plakat, Inv. PLA 2024/45
© Badisches Landesmuseum, CC BY-NC-SA 4.0

Ihre Geschichte beginnt vor ungefähr 50 Jahren in dem kleinen Ort Wyhl am Kaiserstuhl, den viele heute mit dem Beginn der Umweltbewegung in Deutschland verbinden. Dort sollte am 18. Februar 1975 mit dem Bau eines Atomkraftwerkes der Badenwerk-AG begonnen werden.
Die lokale Bevölkerung blockierte die Baumaschinen und besetzte den Platz, wurde von der Polizei geräumt und unternahm fünf Tage später den nächsten Versuch, diesmal mit Erfolg: Neun Monate hielten Kaiserstühler Landwirt*innen und Winzer*innen sowie Städter*innen und Studierende aus dem 30 Kilometer entfernten Freiburg den Bauplatz besetzt. Doch nicht nur Wyhl ist Mitte der 1970er Jahre Schauplatz von Protesten, die ganze Region ist in Aufruhr.
Auf der anderen Seite des Rheins im französischen Marckolsheim hatten wenige Monate vorher Elsässer*innen und Badener*innen gemeinsam den Bau einer Blei-Chemiefabrik verhindert. Ob Blei oder Atom – was die Menschen antrieb, war die Sorge um ihre Gesundheit, die ihrer Kinder, der Tiere, der Böden, des Wassers und der Luft. Ihre Existenz stand auf dem Spiel. Und alle wussten, dass Umweltverschmutzung- und -zerstörung keine Grenzen kennt.

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Der 20. September
Nachricht von Paula

Seit ein paar Tagen stehen bemalte Pappschilder in meinem Flur, die ich für die Klimademo am 20. September vom Dachboden geholt hatte. Auf ihnen stehen Dinge wie "Diese Krise lässt sich nicht aussitzen" oder "Exit Gas, Enter Future", dahinter sind mit Acrylfarben Flammen, Bohrtürme oder Erden gemalt. Sie sind noch relativ frisch, denke ich, im Vergleich zu den Plakaten im Bildarchiv Staufen, aber auch ihnen sieht man an, dass sie Gebrauchsgegenstände sind. Mir kommen sie trotzdem wie kleine Kunstwerke vor. Umso mehr mag ich den Gedanken, dass die Protestplakate vergangener Umweltbewegungen es in das Archiv geschafft haben: Dass diese kleinen Kunstwerke, in die wir Aktivist*innen so viel Kreativität und Liebe stecken, etwas sind, das bleibt. Im Stress der Tagespolitik, besonders angesichts des aktuellen klimapolitischen Versagens der Bundesregierung, vergisst man manchmal, in was für eine große Geschichte der Umweltbewegungen unsere Arbeit fällt. Wir organisieren den nächsten internationalen Klimaprotest, versuchen, einen neuen fossilen Lock-In zu verhindern – und nur manchmal, zwischendurch, fragt man sich, was es eigentlich mit einer Bewegung macht, über Jahrzehnte hinweg in einem solchen Dringlichkeitsgefühl zu arbeiten. Jede Umweltzerstörung löst riesige, kaum sichtbare Folgeschäden aus, die meist irreversibel sind. Mit der eskalierenden Klimakrise im Nacken kommt man nicht umhin, viele Nächte durchzuarbeiten. Diese Erfahrungen verbinden uns über Generationen hinweg. Und gleichzeitig kommt man einander manchmal so fremd vor: Die einen Plakate liegen im Archiv, die anderen werden auf die Straße getragen. Ich frage mich oft, wo die Unterschiede sind. Ist unsere Sprache globaler geworden? Können wir überhaupt noch ähnliche Kommunikationsstrategien haben, wenn die Medienwelt sich so verändert hat? Wir können sicher voneinander lernen – aber wie viel?

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Exit Gas, Enter Future, Material für die Klimademo am 20.09, Fridays for Future 2025
© Fridays for Future Deutschland, CC BY-NC-SA

Alles in Bewegung
Nachricht von Stephanie

Es ist gar nicht so leicht auf einer Demonstration gute Bilder zu machen, wie ich feststellen muss. Besonders dann nicht, wenn man mittendrin ist. Nicht nur die Menschen sind in Bewegung, auch die Schilder und Banner, die sie hochhalten, drehen und schwingen. Eigentlich bin ich heute gekommen, um ein bisschen Feldforschung zu betreiben: Mir anzuschauen, welche Plakate die Aktivist*innen dabei haben und ob es etwas gibt, was sie mit denen verbindet, die wir im Archiv aufbewahren. Kurz (und zu spät) kommt mir der Gedanke, ich hätte ja auch eines der alten Plakate kopieren, auf eine Pappe kleben und mitbringen können. Oder mich von ihnen zu etwas Neuem inspirieren lassen können. Ich denke da an die Schablone, die wie ein Stoppschild aussieht und mit der die Botschaft gegen den Bau des Atomkraftwerks in Wyhl für alle verständlich kommuniziert wurde. Damals hat man die Schablone benutzt, um das gleiche Motiv immer wieder zu übertragen und so eigenhändig und schnell viele Plakate herzustellen. Heute schriebe man einfach "Gas" statt "KKW" (was für Kernkraftwerk steht), oder "Bohrtürme" statt "Kühlturm" und "Kuppel". Im Grunde gäbe es einiges, was sich übertragen ließe, in vielerlei Hinsicht.

Grafik eines Stoppschilds mit der Aufschrift "STOP" und "KKW" in Weiß auf rotem Hintergrund.
Stop KKW, Schablone, Inv. PLA 2024/101
© Badisches Landesmuseum, CC BY-NC-SA 4.0

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Wenn ich mich auf der Demo so umschaue, sehe ich nicht nur das Dagegen, sondern auch das, Wofür es sich zu kämpfen lohnt: zum Beispiel die kleine Robbe im Wattenmeer und immer wieder die Erde – als grün-blauer Ball, in Herzform, traurig, verärgert oder von brennendem Gas umzingelt. Auch die Sprüche auf den Schildern greifen das auf: Es ist von "Mutter Erde" die Rede, einer "gesunden Umwelt" und "Heimat", Begriffe, die auch vor 50 Jahren in Wyhl anzutreffen waren. Wurden sie dort allerdings (zumindest am Anfang) noch lokal verstanden, werden sie heute global eingesetzt. Think global, act local.

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Demonstrierende Personen halten ein Schild mit „Keine Bohrungen im Wattenmeer“ vor einer städtischen Kulisse hoch.
Impressionen von der Klimademo in Freiburg am 20.09.2025
© Badisches Landesmuseum, Stephanie Stroh

Teilnehmer einer Demonstration halten ein Schild, das sagt: „Klimawandel zerstört Heimat – Auch hier!“
Impressionen von der Klimademo in Freiburg am 20.09.2025
© Badisches Landesmuseum, Stephanie Stroh

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Das Dafür
Nachricht von Paula

Diesmal sitze ich schreibend im Zug zwischen Stuttgart und Karlsruhe, ich möchte es kurz erwähnen, weil ich gerade auf dem Rückweg von einem Landesparteitag bin, auf dem ich für Fridays for Future ein Grußwort halten durfte. Der Wahlkampf beginnt, es ist viel zu tun. Entsprechend ist mir das Dafür besonders präsent: Gerade habe ich darüber gesprochen, dass Klimapolitik eben immer Politik für die Menschen ist. Für Gerechtigkeit, soziale wie globale, weil die Klimakrise keine Frage von Robben, sondern eine Gerechtigkeitsfrage ist (und natürlich geht es dabei auch ein bisschen um die Robben). Ich halte es für wichtig, dass wir konkret werden, auch wenn wir es oft noch versäumen, das konsequent genug zu tun. Die Erzählung von den Eisbären und dem blauen Planeten hatten wir für Jahrzehnte, und auch wenn es Menschen berührt hat, hat es sie nicht genug aufgeschreckt. Ich denke, wir müssen klar machen, dass die Klimakrise uns unsere Lebensgrundlagen raubt — dass es um die Frage geht, in was für einer Welt wir als Menschen leben. Welchen Katastrophen wir uns aussetzen. Ich mag nicht die Aktivistin sein, die nur alarmistisch und nicht hoffnungsvoll auftritt, aber es besorgt mich schon, dass die Kommunikation über die Klimakrise häufig so verniedlichend ist. Böse (und populistischer, als ich es eigentlich tun würde) gesagt: Dass wir uns im Gutmenschengerede verlieren. Mit Blick auf die vergangene Klimabewegung haben wir das trotzdem gut hinbekommen: Wir haben es geschafft, die Klimakrise persönlich zu machen.

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Von lachenden Sonnen und anderen Symbolen mit Strahlkraft
Nachricht von Stephanie

Heute assoziieren viele die Anti-AKW-Bewegung mit einer lachenden roten Sonne und dem freundlichen Spruch "Atomkraft? Nein danke". Das Motiv, entworfen von der Dänin Anne Lund, entstand fast zeitgleich zu den Protesten in Wyhl vor 50 Jahren. Ob als Sticker, Button oder auf einem Plakat – es hat Wiedererkennungswert und vermittelt eine Botschaft von Widerstand, die positiv ist und vereint. Und das auf der ganzen Welt.

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Gelbes Abzeichen mit lächelnder Sonne und dem Text: "ATOMKRAFT? NEIN DANKE".
Atomkraft? Nein Danke, Button, Inv. 2024/5.11-1
© Badisches Landesmuseum, CC0 1.0

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Ab und zu tauchte die lachende Sonne auch in Wyhl auf. Aber wenn ich mir die Plakate in unserer Sammlung so ansehe, muss ich feststellen, dass die Bildsprache insgesamt viel düsterer war, auch schon vor Tschernobyl: Da gibt es wirbelnde Neutronen, rauchende Schlote, Polizeitrupps, Gasmasken und ziemlich viele Totenköpfe. Die Farbe der Wahl ist Schwarz, oft auch kombiniert mit dem alarmierenden Rot, passend zur (unmittelbar bevorstehenden) Katastrophe. Später wird Gelb für die Gefahr von Atomkraft stehen, so wie es Anne Lund schon bei ihrer Sonne eingesetzt hat. In einem Interview lese ich, dass Lund bewusst ein positives Bild für den Protest schaffen wollte, in Abgrenzung zu den negativen Symbolen, die in der Bewegung bis dahin im Umlauf waren.

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Plakat gegen Atomkraft, zeigt ein Auge mit Energiesymbolen und dem Text: "Kein KKW in Wyhl, wir haben genug Energie."
Wir haben genug Energie (Die Grünen), Wahlplakat, Inv. PLA 2024/82
© Badisches Landesmuseum, CC BY-NC-SA 4.0

Interessant finde ich, dass nicht nur Protestplakate der Zeit von dieser dystopischen (d. h. düsteren, bedrohlichen) Ästhetik geprägt waren. Schaut man sich ein Wahlplakat der Grünen aus den frühen 1980er Jahren an, sieht man, dass die Partei sich hier bildlich (und wohl auch praktisch) mit der Protestbewegung solidarisiert.

Auch der Slogan ist wortgetreu übernommen. Das ist interessant, weil die Grünen kurz vorher mit ihrem bunten Kinderstil und dem Sonnenblumenplakat bekannt wurden. Der Zusatz "Wir haben genug Energie" kann einerseits als Anspielung auf erneuerbare Energien wie Wasser und Wind verstanden werden, für deren Nutzung die Grünen eintraten. Andererseits aber auch auf den langen Atem, der Atomlobby Paroli zu bieten, damit diese dann tatsächlich nichts mehr zu lachen hat.

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Von Genug Energie zu Exit Gas, Enter Future
Nachricht von Paula

Als Aktivistin fallen mir tausend Anknüpfungspunkte ein, zu denen ich noch etwas zu sagen hätte. Wir sind kurz vor einem weltweiten Klimastreik, in einer Woche beginnt die Weltklimakonferenz – es ist viel los. Als Kommunikatorin bleibe ich gerade aber vor allem an einem hängen: Je mehr ich darüber nachdenke, wie die Plakate unserer letzten Klimastreiks und die der Anti-Atomkraft-Bewegung aussehen, umso weniger Unterschiede finde ich.

Auf eine Art ist das ganz spannend, haben sich doch die Anforderungen an solche Plakate sehr verändert. Natürlich: Bei uns wird man kaum noch die Poster finden, auf denen ausgeschnittene Zeitungsartikel im Detail informieren – wir halten es kürzer. Aber der Versuch, mit Zeichnungen und kurzen Slogans eine starke Symbolkraft herzustellen, der ist geblieben. Ich denke, es ist den verschiedenen Umweltkrisen inhärent: Insbesondere für die Klimakrise hat der Mensch keine direkte Sinneswahrnehmung. Wir spüren nicht unmittelbar, was das Ausstoßen von Emissionen bedeutet, wir müssen uns aktiv bewusst machen, welche Konsequenzen ihnen folgen. Fossile Energie zerstört Menschenleben. Sie tötet. Doch sie tut es so oft auf dem Umweg der Zerstörung von Ökosystemen, dass es schwer wird, die Gefahr klar zu erkennen. Menschen blicken nicht auf ein Gaskraftwerk, ein Kohlekraftwerk oder ein Atomkraftwerk und sehen direkt, welche mittelbare Gewalt mit ihnen droht. Das ist auch ein kommunikativer Deutungskampf, dem wir uns als Umweltbewegung immer wieder stellen müssen.

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Plakat für den globalen Klimastreik am 14.11. mit der Botschaft "Klimagerechtigkeit jetzt!" und verschiedenen Symbolen.
Globaler Klimastreik 14.11, Fridays for Future 2025
© Fridays for Future Deutschland, CC BY-NC-SA

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Dieser Text ist als digitaler Briefwechsel zwischen Paula Kanzleiter (Fridays for Future) und Stephanie Stroh (Bildarchiv Staufen, Außenstelle vom Badischen Landesmuseum) entstanden. Er macht sich auf die Suche nach den Schnittstellen und Resonanzen zwischen dem historischen und dem aktuellen ökologischen Protest und den Medien, die ihn präg(t)en.

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Wyhl - Protestplakate der Umweltbewegung am Oberrhein.

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Ungefiltert
30.11.2025
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